
Die Hauptprobe im Cabaret Boltaire ist Geschichte. Da Zeremonienmeister Gurkenhofer seinen Text (erwartungsgemäss) nicht auswendig gelernt und den ganzen Abend herumimprovisierte, ist vieles nur halb so gezielt ausgefallen und die meisten Pointen wurden so vergurkt. Politische Kontexte und Satire wurden überhaupt total vergessen. Verarscht wurde auch niemand, wie angekündigt, Gratisbier gabs auch keines und geraucht wurde auch nicht. Gurkenhofer hat in der Zwischenzeit die Konsequenzen gezogen und ist als Zeremonienmeister zurückgetreten.
Adolf Gurkenhofer: „Danke dass ich dabei sein durfte und Danke an das Cabaret Voltaire für die Gastfreundschaft. Es tut uns sehr leid, dass wir euch nicht standesgemäss beschimpft haben und nicht grösseres Chaos hinterlassen haben. Ich ziehe hiermit die Konsequenzen und kündige meinen Austritt aus der Bewegung an.“
Gurkenhofer wurde vom Dadaamt im Nachhinein der Titel Pseudodada verliehen. Im Publikum befand sich auch Christian Balke, der folgenden Film angefertigt hat, damit sich das hochverkehrte Publikum hinter den TFT Folien einen ersten Eindruck der Geschehnisse machen kann:
Grenzen lokalisieren
Die NZZ fragt: „Was ist Dada Zürich?“ Eine der Schlussfolgerungen auf diese Frage war es, Grenzen sichtbar zu machen. Dies war auch möglich, da die Künstler alle von überall in die Stadt kamen. Wenn heute aber Künstler in derselben Stadt leben und auch weiterhin von den Kunstinstitutionen wohlwollend aufgenommen werden wollen, fällt es ihnen natürlich schwer, diese Grenzen zu überschreiten. Einfacher wäre es für ausländische Aktivistinnen die Grenzen zu erweitern und dann wieder zu verschwinden. Sie hinterlassen immer eine nachhaltige Wirkung. Natürlich wissen alle wo die Grenzen heute sind. Im Fall eines kulturellen Veranstaltungsortes in Zürich liegen die Grenzen hier:
a) Monopol des Getränkeausschanks
b) Feuerpolizeiliche Bestimmungen & Rauchverbot
c) Finanzielle Rahmenbedingungen
d) Lärm
e) Ladenschluss
f) Kritik
Als Künstler darf man nun so ziemlich alles machen, ausser sich gegen diese Bestimmungen (die natürlich NICHT durch den Veranstalter selbst geprägt sind, dieser hat nur die Aufgabe diese Rahmenbedingungen durchzusetzen) hinwegzusetzen. Also war es völlig klar einzelne dieser Elemente in die Veranstaltung einzubauen. Bei regelmässiger Missachtung dieser Grundbedingungen können sämtliche Veranstaltungsorte in Zürich innerhalb weniger Wochen geschlossen werden. Zumindest Lokalverbot in sämtlichen Clubs, Cabarets und Centralwäscherein der Stadt ist so zu erlangen.
Die Grenzen des Publikums
Weitere Grenzen sind im Umgang mit den Gästen zu erweitern. Das Zürcher Publikum ist grundsätzlich sehr resistent. Wenn Publikum einmal anwesend ist, kann es nur durch Langeweile oder Dilletantismus vertrieben werden.
Gurkenhofer: „Beides haben wir praktiziert. Die meisten unserer Zuschauer schätzen diese Leistungen aber mittlerweile. Am schlimmsten jedoch ist für das Publikum, wenn Freibier versprochen wird und es gibt nur 24 Dosen …“
Nichtsdestotrotz gab es auch positive Rückmeldungen wie z.B. von Markus Koller: „The starfrosch team probably has been the only bernese in Zurich downtown, but the evening was a full success.“ Hier die ganze Replik auf Starfrosch.ch.
Nachdem die Show im Cabaret Voltaire zu Mittag bereits kurz vor der Absage stand …
Die Ankündigung eigenes Bier mitzubringen und zu verschenken führte zu einiger Verunsicherung unter den Kadermitgliedern des Cabaret Voltaire. In guter dadaistischer Manier planten die Ensemblemitglieder seit Wochen, den Import eigener Bierdosen. Aufgrund von Verträgen des Veranstalters mit den eingemieteten Barbesitzern, sollte dies nun nicht möglich sein. Der Geschäftsführer stellt die Künstler auf eine harte Probe: „Wenn Bier ausgeschenkt wird, findet die Show nicht statt.“ „Ok, dann sagen wir es ab.“ Eine funktionierende Kleine Dada Soiree soll laut Aktivisten für die Show nur möglich sein unter dem Einfluss von Alkohol und zwar viel Alkohol. Auch eine fragwürdige Einstellung. Schliesslich hat man sich auf 24 Biere geeinigt, die dann von den Helferinnen während dem Aufbau leergetrunken wurden. So wurde also die Show schon von Beginn an durch die Veranstalter selbst torpediert und die Wahrnehmungsfähigkeit des Publikums blieb soweit gewahrt, dass sich eine angemessene Grundeinstellung des Publikums nicht einstellen konnte.
Hier muss man im Nachhinein natürlich erwähnen, dass hier die Kommunikation sehr viel weiter gehen hätte müssen. Die Künstler hätten darauf bestehen müssen, einen Abbruch der Veranstaltung forcieren müssen. Nur ein Abbruch wäre ein Erfolg gewesen und die daraufbasierende Berichterstattung wäre zum Kunstwerk erhoben wurden.
Gurkenhofer: „Wir haben sogar einen Ersatzort mit dem Kafi Schoffel organisiert, weil wir wissen, wie einfach es ist, sich selbst und einen Ort wie das Cabaret Voltaire zu einem Rückzieher zu bewegen. Aus Bequemlichkeit haben wir es aber nicht getan, schliesslich hätten wir das ganze Material ein paar Häuser weitertragen müssen. Gurkenhofer weiter: „Hier sind wir durchaus vom Hospiz der Faulheit inspiriert worden, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen, nichts selber zu machen und nur mehr zu kopieren.“
Betteln für rumänische Dadaisten
Da der Ticketverkauf trotz der zahlreichen Pressemeldungen nur zögerlich einstellte, sollten in letzter Minute radikale Massnahmen ergriffen werden. Da natürlich klar war, dass sich kein normaler Mensch zur Teilnahme an einer Dadaveranstaltung verleiten lassen würde, nutzte Gurkenhofer die Gelegenheit von einer rumänischen Bettlerin das Betteln zu erlernen. In einem Crashkurs vermittelte Maria die Techniken des strassenbasierten Wirtschaftskampfs: verzweifelter Gesichtsausdruck, aufrecht auf Knien, mit zurückhaltendem Devotismus versuchten die Beiden Geld für rumänische Künstlerinnen in Zürich zu erwirtschaften. Nach einer Stunde erhielt Maria einen dringenden Anruf und musste weg. Bis dahin wurden 13 Tickets zu je 50 SFR verkauft.
Dada Restaurant + Lord Klitchko
Die Ankündigung sämtliche Eintrittsgelder ohne Gewinn zu verspeisen wurde von Koch Lord Klitchko in der Dadaküche in die Tat umgesetzt. Geldscheine wurden zerschnippselt und in Backteig frittiert. Fazit: Schweizer Geld ist schlecht verdaubar im Gegensatz zu indischen Rupien, die lecker schmecken und auf der Zunge zergehen. Als Vorspeise wurde aus dem 1.Dadamanifest von Hugo Ball eine Nudelsuppe zubereitet.
Finanzielles Disaster
Nachdem das Cabaret Voltaire in einem Crowdfunding 100.000 SFR gesammelt hat, wurde im Vorfeld ein Veranstaltungsbeitrag von 500.- ausgehandelt. Der Betrag wird wie folgt auf die Teilnehmerinnen aufgeteilt:
Cholinska, 50.-
Claude Winterberg, 50.-
Vänci Stirnemann, 50.-
Lord Klitchko, 50.-
Bruno Schlatter, 50.-
Paul Dorn, 50.-
Kabinett der Visionäre, 50.-
W3rkhof, 50.-
Allianz der Begeisterung, 50.-
Marco N. Heinzen, 50.-
Da die Übernachtung von W3rkhof in einem benachbarten Hotel bereits 450 SFR gekostet hat, kann ohnehin nur mehr ein einziges Honorar ausgezahlt werden. Gurkenhofer: „Wer sich von den Künstlerinnen als erstes mit Bankverbindung meldet, erhält den verfügbaren Restbetrag. Da der Veranstaltungsbeitrag noch nicht eingegangen ist, werden alle Teilnehmerinnen gebeten sich noch etwas in Geduld zu üben.“ Weitere Verbindlichkeiten, Forderungen an info@republicdomain.net
Gurkenhofer: „Da die Eintrittsgelder zu 100% aufgegessen wurden, gehen wir davon aus, dass wir mit einem Defizit von 1500.- aussteigen, die wir aus der eigenen Tasche bezahlen müssen. Wir weinen deswegen nicht.“
Aufruf
Während der Show erfolgte der Aufruf, die Show für einen anderen Ort vorzuschlagen. Diesem Aufruf folgte Swissnex in San Francisco. Sie riefen spontan an via Skype und da ihnen die Show bis zu diesem Zeitpunkt so gut gefallen hat, luden sie die ganze Unternehmung ein im November in San Francisco in Verbindung mit einer Ausstellung zu zeigen. Beinahe zeitgleich hat Migros Kulturprozent 8000.- für die Produktion der Arbeiten zur Verfügung gestellt.
Claude Winterberg + Circuit Bending Orchester
Die musikalische Begleitung wurde von Claude Winterberg und dem Circuit Bending Orchester in 5 Pittoresken in Anlehnung an Erwin Schulhoff aufgeführt. Den ersten Teil führte Winterberg mit seinem Engerling auf. Irgendwie wurde darauf vergessen Mitspieler einzuladen. Die 3.Pittoreske „In Futurum“ wurde von Mitgliedern der Allianz der Begeisterung, Kent/W3rkhof + Claude Winterberg vorgetragen, während ein Grablicht in Eiform auf der Bühne brannte. Adolf Gurkenhofer erklärte nochmal für alle verständlich das Konzept, nachdem Teile des Publikums ihr Unverständnis mitteilten und dirigierte das völlig unvorbereitete Orchester.
Cholinska: Arpgut Lab
Die Wissenschafterin Cholinska stellt ein Laboratorium vor, zur technischen Arpropriation der Formen von Hans Arp, die in Reagenzgläsern gezüchtet werden und als Basis für die Entwicklung eines Selbstläufers (Roboter) dienen.
W3rkhof: Randensonate
Die Randensonate von W3rkhof ist eine akustisch-visuelle Hommage an diverse Mikroelemente aus dem DAdakosmkos in Verbindung mit Gemüse.
Bruno Schlatter & Giuseppe: Komponautor (Software, Audio)
Eine Software in Python mit der Text in Töne umgesetzt werden.
Stefan Seydel, Bühne War Fake (Video)
Stefan Seydel brauchte dann doch kein mikrofon auf der bühne. Video mit relativ lautem ton.
SMS im publikum under cover. Das Video. Da das wLan bekanntlich schwach im cabaret voltaire hier für die Hosentasche.
Über Bataphysik (Vortrag)
Bruno Schlatter erklärt die Bataphysik. Ein durchaus anspruchsvoller philosophischer Beitrag, den niemand so recht verstanden hat.
Joshua Norton, Vogelfisch
Joshua Norton stellt ein gerahmtes Bild vor, auf dem ein Vogelfisch gezeichnet ist und liest dazu einen Text. Da im Hintergrund Marco N. Heinzen nihilistische Filme zeigt, unterhält sich das Publikum köstlich an den viralen Stellen der Clips. Während Joshua Nortons Vortrag völlig untergeht. Gurkenhofer greift an dieser Stelle ein, lässt das Video abbrechen und Joshua Norton den Vortrag wiederholen und gibt dem Publikum den Hinweis an denselben Stellen zu lachen wie zuvor. Das klappt hervorragend. Währenddessen erleidet Gurkenhofer einen narkoleptischen Anfall.
Weitere Beiträge
Daniel Boos, 24 dadaistische Digitalisate (Web), http://republicdomain.net/deck/dada
Dock18 & Fivrr.com, fivrrkarawane55 (Clips, Poems)
Diverse, Antropopophiler Bandwurm (Video)
Paul Dorn, Dada 100% Manifesto (Text, Vortrag)
Kabinett der Visionäre: Gedicht (Exquis Cadavre)
Marco N. Heinzen, #ageofnihilism (Diverse Videos)
Artist Trading Network (Talk)
Da im Vorfeld einige Verstimmung unter einzelnen Künstlerinnen herrschte, die sich gegenseitig verleumdeten, sagte DJ Carlotta ihre Teilnahme schon im Vorfeld ab. Die Distanzvermessung wurde im Laufe der Improvisation einfach vergessen. Nachdem niemand nach dem Song „Wir sind hier im Cabaret“ gefragt hat, wurde er an diesem Abend auch nicht gespielt. Das Hospiz der Faulheit ist während der Veranstaltung verschwunden/wurde vom Erdboden verschluckt und zollte so ihrem Namen ganze Ehre. Vadim Levin hat 1 Stunde vor der Show einen Kartonkopf vorbeigebracht und meinte, er käme später wieder.
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